Physiknobelpreis 1980: James Watson Cronin — Val Logsdon Fitch

Physiknobelpreis 1980: James Watson Cronin — Val Logsdon Fitch
Physiknobelpreis 1980: James Watson Cronin — Val Logsdon Fitch
 
Die amerikanischen Physiker wurden für die Entdeckung von Verletzungen fundamentaler Symmetrieprinzipien beim Zerfall der neutralen Kaonen ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
James Watson Cronin, * Chicago (Illinois) 29. 9. 1931; ab 1965 Professor in Princeton (New Jersey), seit 1971 an der University of Chicago; wies die Röntgenstrahlen von Myonatomen nach.
 
Val Logsdon Fitch, * Merriman (Nebraska) 10. 3. 1923; seit 1960 Professor an der Princeton University in New Haven (Connecticut); Entdecker der Pionatome, arbeitete am Bau der Atombombe mit.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Für den griechischen Philosophen und Mathematiker Pythagoras (etwa 570-500 v. Chr.) war die Welt von göttlicher Harmonie durchdrungen. Sein mathematisch fundiertes Credo lautete: »Alles ist Zahl.« Das Bild der Harmonie ist seitdem Bestandteil der physikalischen Vorstellung: Nikolaus Kopernikus hielt die Planetenbahnen für perfekt kreisförmig, der französische Chemiker Louis Pasteur wies darauf hin, dass die Natur im Grunde spiegelsymmetrisch sei, und 1929 sagte der englische Physiker Paul Dirac (Nobelpreis 1933) die Existenz spiegelbildlicher Antiteilchen voraus. Doch dieses schöne und bewährte Bild der perfekten Symmetrie wird durch unsere Existenz empfindlich gestört.
 
 Die Welt stört die göttliche Harmonie
 
Wäre das All unmittelbar nach dem Urknall zu gleichen Teilen in Materie und Antimaterie zerplatzt, hätte die Welt nie entstehen können. Die Paare aus Teilchen und Antiteilchen hätten sich sofort gegenseitig vernichten und in reine Energie zerstrahlen müssen. Das taten sie auch, aber dennoch gibt es unzweifelhaft Materie. Ob Symmetrieverletzungen zum Überschuss der Materie kurz nach dem Urknall geführt hatten, war eines der großen Rätsel der Physik.
 
Unter Symmetrie verstehen die Physiker die Invarianz oder Stabilität der Eigenschaften eines Objekts gegenüber bestimmten Transformationen. Sie werden mit den Erhaltungssätzen beschrieben. Danach sollte zu jeder in der Natur vorkommenden Erscheinung auch ihr Spiegelbild möglich sein. Alle Koordinaten wechseln dabei ihr Vorzeichen; was geometrisch einer Punktspiegelung am Ursprung entspricht. Ein Punkt mit den Koordinaten x, y, z wird zu —x, —y, —z. Die Ladungskonjugation C beschreibt den Übergang eines Teilchens in sein Antiteilchen mit entgegengesetzter Ladung. Beispielsweise geht ein Elektron in ein Positron über. Zusammen mit der Rechts-Links-Spiegelung oder Parität P und der Zeitspiegelung T, der Umkehrung des Vorzeichens der Zeit, spricht man von der CPT-Symmetrie.
 
Naturgesetze sind gegen CPT-Operationen invariant; gespiegelte Prozesse sind deshalb prinzipiell nicht unterscheidbar. Das galt so lange, bis die beiden in den USA arbeitenden Chinesen Tsung-Dao Lee (Nobelpreis 1957) und Chen Ning Yang (Nobelpreis 1957) im Frühjahr 1956 behaupteten, die Parität bleibe beim radioaktiven Betazerfall nicht erhalten. Zu ihren theoretischen Überlegungen ließen sie sich von Vorarbeiten unter anderem des englischen Physikers Richard Henry Dalitz inspirieren, der 1953 zum ersten Mal auf Paritätsverletzungen bei den neu entdeckten Mesonen Theta und Tau hingewiesen hatte. Theta zerfällt in zwei Pionen, Tau in drei. Der Thetazerfall führt zur Parität P = +1, der von Tau zu P = -1. Dieser Paritätsunterschied bei gleichzeitiger Übereinstimmung aller sonstigen Eigenschaften erlangte als Theta-Tau-Problem Berühmtheit. Lee und Yang sahen nun in Theta und Tau ein und dasselbe Teilchen, das positive Kaon K+. Nur würde bei seinem Zerfall, der der schwachen Wechselwirkung unterliege, der Paritätserhaltungssatz verletzt.
 
 Die Verletzung der Symmetrie
 
Diese Behauptung schockierte viele Physiker. So wettete Richard Feynman (Nobelpreis 1965) 50 US-Dollar gegen die Paritätsverletzung. Doch noch konnte die Schlussfolgerung vermieden werden, dass die Natur absolut, das heißt, ohne dass eine Seite definiert werden muss, zwischen links und rechts unterscheidet — andernfalls könnte die linke Hand als links definiert werden, ohne dass man von der Existenz der rechten Hand weiß. Denn wird zu der räumlichen Spiegelung P auch eine Ladungsspiegelung C vorgenommen, also statt Materie Antimaterie betrachtet, so bleibt die Symmetrie gewahrt. Die harmonische Welt als Ganzes blieb intakt. Es konnte immerhin davon ausgegangen werden, dass die Natur gegen Operationen invariant sei.
 
In dieser Situation begannen Fitch und Cronin, den Urgrund der materiellen Welt zu erforschen. Der Frage der CP-Stabilität gingen sie anhand eines besonders exotischen Versuchsobjekts, dem Kaon oder K-Meson, auf den Grund. Das Teilchen liegt gleich in vier Zuständen vor — den Materieteilchen K+ und K0, und den Antimateriegegenstücken -K und -K0 die alle sehr unterschiedliche Zerfallsprozesse eingehen können. K0 und -K0 unterscheiden sich nur in der Seltsamkeit. Bei starken Wechselwirkungsprozessen verhalten sie sich wie unterschiedliche Teilchen. Extremes Verhalten offenbaren sie unter der schwachen Wechselwirkung. Hier können sich beide Teilchen ineinander umwandeln. Materie und Antimaterie, K0 und -K0, treten gemischt auf. Damit nicht genug, existieren die K0-und -K0-Paare auch noch in zwei Varianten. Der K0short-Zustand ist für die Dauer von etwa 10-10 Sekunden stabil, der K0long-Zustand 20-mal länger.
 
Die beiden Physiker erzeugten am Protonenbeschleuniger in Brookhaven einen Strahl neutraler Kaonen (K0) und untersuchten deren Zerfall. Der kurzlebige Teil der neutralen Kaonen, K0short, »stirbt« nach kurzer Flugstrecke aus, die längerlebigen K0long bleiben zur Analyse übrig. Die Forscher stellten fest, dass die K0long dominant in drei Pionen zerfallen und mit einer 500-mal geringeren Wahrscheinlichkeit in zwei Pionen. Dieses Ergebnis verletzte die CP-Symmetrie. Die zweite Beobachtung war, dass K0long nicht zu gleichen Teilen aus Materie (K0) und Antimaterie (-K0) besteht. Bei etwa jedem tausendsten Zerfall war die Ladungsparität C verletzt.
 
Fitch und Cronin waren die beiden ersten Menschen, die beobachten konnten, dass die Natur aus einem unverstandenen Grund Materie gegenüber Antimaterie bevorzugt. Der russische Physiker Andrei Sacharow (Friedensnobelpreis 1975) versuchte als erster, mit diesem Ergebnis den Überschuss an Quarks gegenüber den Antiquarks nach dem Urknall zu erklären. Antimaterie ist heute im Universum nicht mehr vorhanden. Der kleine Überschuss an Materie, etwa ein Milliardstel der Ausgangsmasse, bildet unser Universum.
 
Die Ergebnisse ließen aber unklar, ob der Effekt des ungleichen Zerfalls durch eine der vier Naturkräfte erklärt werden kann. Einige Physiker forderten schnell eine fünfte »superschwache Kraft«. Doch es zeigte sich, dass die schwache Kernkraft, »des Herrgotts linker Arm«, wie es Wolfgang Pauli (Nobelpreis 1945) ausdrückte, für die Symmetrieverletzung verantwortlich ist. Fitch interessierte sich besonders für exotische Teilchen wie das Kaon, weil ihr Vorhandensein eine »Herausforderung im Verständnis der Natur« darstellten. 20 Jahre erforschte er diese Exoten, und das äußerste manch unerwarteter Forschungsergebnisse war die Entdeckung der CP-Verletzung.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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